Der Rhythmusgeber
Westbam veröffentlicht mit "Lovestory 89-10" einen Rückblick auf seine Jahre mit der Loveparade
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Der Rhythmusgeber
Westbam veröffentlicht mit "Lovestory 89-10" einen Rückblick auf seine Jahre mit der Loveparade
22.07.2010 Kein Name ist so eng mit der Loveparade verbunden wie seiner: Westbam alias Maximilian Lenz war seit der ersten Technoveranstaltung 1989 bei jeder einzelnen dabei. Dieses Jahr nimmt er seinen Abschied - vier Jahre, nachdem sich mit Dr. Motte selbst der Gründer der Parade von ihr distanzierte. Im Interview spricht er über seine Gründe für den Ausstieg, Heimatgefühle und die Rolle der Nazis in der Geschichte der Disco.
Am 24. Juli geht die Loveparade wieder los, diesmal in Duisburg - aber ohne den Spirit, denn der sei in Berlin geblieben. Zumindest sagt das Ihr alter Weggefährte Dr. Motte. Stimmen Sie ihm zu?
Westbam: Ich möchte da nicht so bitter sein. Natürlich ist die Loveparade im Ruhrgebiet etwas anderes als in Berlin. Aber schon die Loveparade auf der Straße des 17. Juni mit einer Mega-Abschlusskundgebung war etwas anderes als die Loveparade 1991 mit fünf Wagen und ein paar Tausend Spezialisten. Ein großer Volksfestcharakter hat sich gebildet, aber das war ja auch die Idee.
Was hat für Sie den Geist der Loveparade geprägt?
Westbam: Die erste Idee, die ja von Motte kam, war ja ziemlich typisch für die Aussteigerinsel Westberlin: Eine kleine Gruppe von Leuten sagte sich: "Wir machen jetzt die Party, die wir sonst in irgendwelchen illegalen Läden abgezogen haben, und melden das politisch an, als eine Demonstration." Das war eine bestimmte anarchistische Idee. Ich kann mich noch erinnern - ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich gesehen habe, oder ob es mir nur erzählt wurde - dass bei der ersten Loveparade zwei ältere Damen am Straßenrand saßen, möglicherweise im Café Kranzler, und sich bei einem Polizisten beschwerten über den Krach. Und dieser Polizist sagte nur: "Ja, det is Berlin."
Und danach kam der große Ausverkauf - zumindest wird Ihnen das von Szeneanhängern immer wieder vorgeworfen.
Westbam: Das ist doch ein Universalvorwurf, den man aus allen Musikrichtungen kennt. Der trifft meistens die, die am meisten bewegt haben. Natürlich hat man den Sex Pistols den Ausverkauf der Punkbewegung vorgeworfen - aber ohne die Sex Pistols hätte es Punk erst gar nicht gegeben. Und wir unterhalten uns auch nur über Techno als großes Kulturphänomen, weil es die Loveparade gegeben hat.
Trotzdem sind Sie dieses Jahr zum letzten Mal auf der Loveparade. Gibt es da keinen Platz mehr für Sie oder wollen Sie einfach in Rente gehen?
Westbam: In Rente gehen Künstler ja sowieso nicht. Würde mir auch keiner bezahlen. Aber man muss sich fragen: "Ist das ein Medium, auf das ich in der gewünschten Weise einwirken kann? Bringt das mir was? Bringt das der Gesellschaft oder der Loveparade was?" Und ich habe das Gefühl, dass es eben nicht mehr so ist. Alter spielt bestimmt eine Rolle, aber auch die Leute, die das jetzt machen - es ist ein ganzes Bündel an Gründen.
Ihr Motto - und auch der Titel ihrer aktuellen Single - ist "Don't Look Back In Anger". Gäbe es denn einen Grund, sich zu ärgern?
Westbam: Nein, eben nicht. Das ist es aber, was viele DJs machen. Egal, ob sie sich 1995 verabschiedet haben oder 1993 oder 2000 - jeder, der absprang, verabschiedete sich mit der Aussage: "Bis hierher war ja alles gut, aber jetzt ist es zu kommerziell geworden." Da wollte ich mich nicht einreihen. Es ist aber ein gesamtgesellschaftliches Phänomen: Jeder verbindet seinen eigenen Ausstieg - ganz egal, woraus - damit, dass es jetzt Mist ist. Und nicht damit, dass seine persönliche Situation anders ist. Jeder, der zum Beispiel aus dem Disco-Alter rauswächst, sagt: "Die Leute sind mir zu jung geworden." Was soll denn das? Klar, solche Regungen habe ich auch, aber man sollte das nicht überhöhen.
Im Video zu "Don't Look Back In Anger" tanzen Die Atzen mit, die mit ihrem - freundlich formuliert - sehr einfachen Song "Das geht ab" einen ziemlichen Hit landen konnten. Nur ein Gag oder geben Sie da den Staffelstab an die nächste Generation weiter?
Westbam: Erst einmal muss ich sagen, dass ich weiß, dass sie für viele ein großer Stein des Anstoßes sind, was sie mir naturgemäß sympathisch macht. Ich finde außerdem - und jetzt werden alle Technopuristen die Wand hochgehen - dass sie vieles vertreten, was die Technokultur überhaupt erst groß gemacht hat. Über die verbitterten und verpeilten Nullerjahre ist einiges verloren gegangen; inzwischen halten Techno viele nur noch für Minimalismus. Dagegen haben für mich Die Atzen in ihrer proletarischen, asozialen Über-Tisch-und-Bänke-Art viel von dem, was ein Technorave 1991 hatte - und was eine Technoparty im Berghain 2010 nicht mehr hat. Was das Video angeht, ist der Grund viel banaler: Unsere Sängerin Becky ist mit denen befreundet und hat sie zum Videodreh mit eingeladen.
Sie selbst tanzen nicht im Video - tun Sie das überhaupt jemals?
Westbam: Durchaus, manchmal. Ich gehe aber nicht aus, um zu tanzen. Das habe ich gemacht, als ich 15 war. Das hörte aber schon mit dem 18. Geburtstag auf, als ich anfing mit dem DJing. Ich habe mal ein Interview gelesen mit einem Dirigenten, dem wurde die gleiche Frage gestellt. Und der sagte: "Jemand, der den Rhythmus vorgibt, dem fällt es schwer, im Rhythmus zu schweben."
Ihre eigenen Kinder sind mit fünf und acht Jahren ja momentan noch zu jung - aber ab wann dürften die denn auf eine Technoparty?
Westbam: Also, das verbitte ich mir. Da nehmen die jungen Leute ja Drogen, da gibt's gleich links und rechts eine (lacht). Aber tatsächlich sind die beiden richtig altmodisch. Ich habe in Berlin eine kleine Wohnung gekauft unter unserer, nur für meine Platten. Es ist mir zu obszön, die Scheiben wegzuschmeißen oder zu verkaufen, also bleibt dieses Zimmer ein bisschen museal. Und zwischendurch bitten mich meine Kinder da hin. Dann legen sie Platten auf und spinnen hinter den Turntables hin und her und scratchen. Die wollen natürlich auch beide DJs werden. Aber weil da unten kein CD-Spieler steht, gehören sie zur guten alten Schule. Ich sage auch immer: "Kinder, fangt das gar nicht erst an mit den CDs, das ist alles Teufelswerk. Das wahre Handwerk, das ist Vinyl." (lacht)
Da sind Sie aber ein schlechtes Vorbild: Sie arbeiten ja mittlerweile nicht mehr mit Vinyl ...
Westbam: Stimmt. Inzwischen lege ich selbst nur CDs auf, das ist einfacher und praktischer, und man muss sich nicht die Hacken ablaufen nach der Musik - es ist alles viel bequemer geworden. Aber in meinem Vertrag steht trotzdem immer, dass ich zwei Plattenspieler haben will, und solange ich auflegen werde, wird sich das auch nicht ändern. Ich lege da auch immer zwei Platten drauf. Das gibt mir einfach ein Gefühl von Heimat. Wenn ich da stünde, und links und rechts vom Mischpult stünden nur zwei CD-Spieler, das wäre für mich ein trostloser Anblick.
Das ist schon ein wenig überraschend: Sie kamen ursprünglich aus der Punkszene, wurden dann Anführer einer Jugendkultur, und jetzt benutzen Sie Worte wie "Heimat" und "Handwerk" - passt das überhaupt zusammen?
Westbam: Ich glaube schon. Meine Eltern waren ja Hippies. Von daher bin ich auch das Kompendium der Jugendbewegungen: 1971 mit langen Haaren, das war damals in Deutschland noch echt 'n Ding, da liefen noch eine Menge Nazis durch die Gegend, die so ein Kind ganz schön gestresst haben. Mit 15 wurde ich Punkrocker, und mit 18 habe ich das DJ-Ding entdeckt. Aber wenn ich jetzt ehrlich bin: Eine konservative Ader hatte ich schon immer, schon als Kind. Ich habe auch versucht, mich mit meinen Eltern zu identifizieren, die ja alle alten Werte abgelehnt haben, aber schon damals dachte ich, ich sehe das anders.
Erstreckt sich Ihr Konservativismus auch auf die Musik?
Westbam: Auf keinen Fall. Konservativ kommt ja von Konservieren. Und ich habe versucht, die Leute immer wieder vor den Kopf zu stoßen, immer wieder was anderes zu machen. Mit diesen ewigen Wechseleien vertreibe ich immer wieder meine Leute, ich demontiere mich beständig selbst. Ich mache das aber sehenden Auges, ich verstehe auch die Enttäuschung bestimmter Fans - aber wenn ich anfange, Musik zu machen um den Leuten zu gefallen, dann kann ich wirklich in Rente gehen.
Sie haben schon vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt: "Die großen innovativen Formmodelle sind alle schon Mitte der 90er-Jahre durch gewesen. Albern zu sagen, da kommt jetzt noch was." Was reizt Sie denn dann noch daran?
Westbam: Das lässt sich am besten an anderen Leuten erklären. Ein Künstler, bei dem ich das großartig finde: Picasso. Der hat in seinem Alterswerk jetzt eigentlich auch nichts durchschlagend Neues mehr gemacht. Aber er ist in seiner individuellen Kunst immer fortgeschritten. Es ist nicht mehr wie das Jugendwerk, wo er mit "Les Demoiselles d'Avignon" - naja, ich will jetzt nicht zu kunsthistorisch werden, aber das war ein großer Schritt der Moderne. Später ging es nur noch um persönlichen Ausdruck, und ähnlich ist das auch bei mir. Es kann nicht mehr mein Ziel sein, einen neuen Kontinent zu entdecken. Das wird mir nicht mehr gelingen, und nebenbei auch keinem anderen. Aber trotzdem ist die elektronische Musik etwas, was man weitertreiben kann.
Bei allen Debatten über den Ausverkauf haben sich ja auch die Besucherzahlen der Loveparade wieder erholt, und der Mayday, den Sie mitbegründet haben, feiert nächstes Jahr sein 20. Jubiläum. Was ist das grundlegende Geheimnis des Erfolgs der Technomusik?
Westbam: Es gibt eine relativ einfache Erklärung; es geht ja gar nicht mit dem Techno los. Die ersten Diskotheken waren Orte in der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs. Die Nazis hatten den Jazz verboten, und es wäre zu aufwendig gewesen, ein Konzert zu veranstalten. Also trafen sich Leute in einem Zirkel und legten eine Jazzplatte auf. Das war die erste Diskothek, und das ist die Grundformel: Ein Mensch wählt die Musik aus, zu der andere Leute tanzen. Ob die jetzt elektronisch ist, oder ob bei den Steinzeitmenschen jemand auf einen hohlen Baumstamm kloppt - das gibt auch einen Bassimpuls, und die Leute sind dazu rumgehopst. Das hat mit dem menschlichen Herzschlag zu tun.
Also ein biologisches Bedürfnis?
Westbam: Ein biologisches Bedürfnis. Das habe ich bei meinen eigenen Kids beobachtet. Irgendwann hab ich mal Musik laufen lassen, und mein Jüngster konnte damals noch gar nicht laufen, aber er hat sich hochgezogen und angefangen, headzubangen. Das hatte ihm keiner gezeigt. Das ist mehr als Sprache. ~ Sabine Metzger (teleschau)
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