Von hier an nicht mehr betriebsblind
Auf "Bring mich nach Hause" entdecken Wir sind Helden die Freude am Musizieren wieder
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Von hier an nicht mehr betriebsblind
Auf "Bring mich nach Hause" entdecken Wir sind Helden die Freude am Musizieren wieder
02.09.2010 Irgendwann, im Spätsommer 2008 waren die Festivals vorbei. Und damit das Touren mit "Soundso" - einer Platte, die für die Band sehr wichtig war, aber unter den Umständen litt. Die Plattenfirma, auf der sich Wir sind Helden damals befanden, brach in sich zusammen, die Verkaufszahlen waren enttäuschend. Judith Holofernes und Pola Roy nahmen erstmals ihr Kind mit auf Tour - und waren irgendwann wie auch der Rest der Helden ausgebrannt. "Wir haben einfach eine Pause gebraucht", sagt Drummer Pola Roy (34). "Um uns zu erholen, aber auch um mal nachzudenken. Wo stehen wir, was wollen wir überhaupt machen?" Drei Jahre später sind Wir sind Helden wieder da. Mit einem Album, das "Bring mich nach Hause" (VÖ: 27.08.) heißt, dem Pop-Mainstream recht achselzuckend gegenübersteht und inhaltlich eher Befindlichkeiten beschreibt, als Gesellschaftsanalyse ist.
Hatte die Band Wir sind Helden in ihrer Vergangenheit jemals eine richtige Auszeit?
Pola Roy: Es gab immer mal wieder drei, vier Wochen Urlaub. Aber da waren Anfangs- und Schlusspunkt klar definiert, man wusste, dass es weiter geht. Es war uns diesmal sehr wichtig, die Zukunft offen zu halten. Wir haben gesagt: "Wir treffen uns in einem halben Jahr." Das war gesetzt, was dann passieren würde, war unklar. Theoretisch hätte es auch sein können, dass wir uns treffen und sagen: "Lasst uns aufhören." Wir redeten aber viel, spielten uns gegenseitig Musik vor, die uns gefiel oder die wir in der Pause gemacht hatten, und merkten dann, dass ganz viel da ist. Auch Lust, eine Platte zu machen.
Judith und Du, Ihr habt zwei gemeinsame Kinder. War es ein eigenartiges Gefühl, plötzlich alle Zeit der Welt dafür zu haben?
Roy: Wir gestalteten die Jahre davor schon so, dass wir nicht so hart tourten wie in der Anfangszeit. Außerdem hatten wir einen umgebauten Tourbus, der sozusagen ein Mutter-Kind-Abteil hatte. Aber trotzdem kann man das nie so weit runterschrauben, dass man das Gefühl hat, sich dem Kind genügend zu widmen. Diese Zerrissenheit war dann natürlich in der Pause weg.
Was gefiel Euch an der neu gewonnenen Freiheit noch?
Roy: Das Vorhandensein von Mußezeit war das Augenscheinlichste. Ich kaufte mir eine Stereoanlage und hörte plötzlich wieder ganz viel Musik. Ich saß dann abends da und hörte CDs an. Ich hatte das in den Jahren davor sehr wenig gemacht, weil mir Ruhe und Raum fehlten.
Welche Platten waren das? Weißt Du's noch?
Roy: Klar. Fleet Foxes zum Beispiel. Vampire Weekend fand ich toll, Sigur Rós hörte ich. Ich fing dann auch an, mir das auf die Produktion und den Mix hin anzuhören, interessierte mich also für das ganze Kunstwerk. Ich erfreute mich quasi am Klang (lacht). Judith kramte viel in ihrer Country-Leidenschaft herum ...
Was meinst Du - Hört man das?
Roy: Wenn man's weiß, vielleicht in Judiths Gesang. Country ist eigentlich weißer Soul. Eine sehr spirituelle Musik. Das ist auf jeden Fall drinnen. Gospel.
Das Gospel-Grundmotiv ist die Suche nach Erlösung. Ist das eine Reaktion auf die letzten Jahre, in denen Ihr so eingespannt wart?
Roy: Das ist tatsächlich ein schwieriger Aspekt - dieses "Große Band"-Sein. Man macht wenig Musik, aber viel Drumherum. Man ist nicht mehr die Band, sondern redet nur darüber. Man plant, organisiert, entscheidet. Da war schon eine Verlorenheit zu spüren. Das eigentliche Musizieren ist schließlich die Essenz. Eine Kommunikationsform, die man mit zu viel sprechen aushöhlen kann. Man hat zwar plötzlich Erfolg, merkt aber, dass irgendetwas auf der Strecke bleibt.
Für das neue Album habt Ihr Euch an unbekannten Instrumenten ausprobiert. Kommt man so wieder mit der Ursprungsidee Musik in Kontakt?
Roy: Das ist tatsächlich sehr befreiend. Man ist wieder da, wo man als 13-jähriger Junge das Musikmachen entdeckte. Das Interessante ist auch, dass man an Instrumenten, die man nicht so gut beherrscht, viel spannendere Sachen tut als am eigentlichen Instrument. Man ist nicht so betriebsblind. Man weiß nicht, was die Techniken sind, mit denen es gut klingt. So entsteht ein sehr direkter, sehr emotionaler Kontakt. Den Geist wollten wir in diese Platte nehmen. Und das klappte ganz gut - irgendwann kam etwa der Moment, als Judith sich die Ukulele griff.
... und sich damit von der Popmusik entfernt.
Roy: Das stimmt. Auch, wenn man da den Begriff Pop zunächst einmal definieren müsste. Aber das Quietschige, das Plakative, das ist tatsächlich in den Hintergrund getreten. Die Songs klingen subtiler.
Macht Ihr Euch da manchmal Gedanken um die Außenwirkung? Immerhin wurdet Ihr von vielen als Teil des Mainstreams gesehen und oft in einem Satz mit Bands wie Juli oder Silbermond erwähnt.
Roy: Wir haben natürlich irgendwann während des Aufnahmeprozesses gemerkt, dass die Songs anders klingen. Und wir haben uns dann Fragen gestellt: Wollen wir das? Haben wir da Angst vor? Das Gegenteil war der Fall. Wir spürten ein Bedürfnis nach Veränderung. Danach, Sachen wegzulassen und Sachen dazuzunehmen. Wir haben auch anders gearbeitet, waren mehr im Proberaum und weniger im Studio.
Eine neue Erfahrung?
Roy: "Von hier an blind" war zum Beispiel eine reine Studioplatte. Das hier ist das genaue Gegenteil. Für mich hatte die Arbeit mit den neuen Liedern sehr viel von der sehr frühen Band. Von den ersten eineinhalb Jahren. Da war so etwas Unmittelbares, das uns allen gut gefiel. Und wenn deshalb jetzt die Verkaufszahlen sinken - dann nehmen wir das in Kauf, dann ist das so, wie es ist. Dieses Spannungsfeld, dass wir als Indierock-Band anfingen, war schließlich immer da. Es gab durchaus die Sehnsucht, da nicht dazuzugehören.
Waren alle Songs neu?
Roy: Nein. "23:55 Alles auf Anfang" ist ziemlich alt. Das war schon bei der "Von hier an blind" und bei der "Soundso" in der näheren Auswahl, passte dann aber nie so recht. Wir hatten immer das Gefühl, das sei nicht zwingend. Durch dieses Akkordeon, dieses Banjo und diesen Afro-Beat machte das Stück endlich Sinn. Die anderen Songs entstanden aber in den letzten ein, zwei Jahren.
In der "Ballade von Wolfgang und Brigitte" singt Judith über Beziehungskonstrukte der Hippie-Ära ...
Roy: Wir saßen eines Tages gemeinsam im Auto und unterhielten uns darüber, über was man schreiben könnte. Das machen wir sonst nie, die Themen kommen einfach zu uns. Aber irgendwann sprachen wir über die Zeit ihrer Eltern. Das Berlin der 70er-Jahre, Kommunen, freie Liebe. Darüber, wie diese Konzepte an der Menschlichkeit der einzelnen Charaktere scheiterten. Das fanden wir sehr reizvoll, wollten es aber nicht ironisch belächeln, sondern sehen, was da dahintersteckte. Ich glaube, das Stück hat insgesamt einen sehr liebevollen Blick.
Über Judiths Kindheit in Berlin und Freiburg ließt man recht viel - hast Du eine ähnliche Biografie?
Roy: Nein. Mein Vater war zwar 68er, hatte aber mit dieser Hippie-Abteilung, mit Kreuzberger Kommunen und solchen Dingen nicht arg viel zu tun.
Die 68er werden mit schöner Regelmäßigkeit für diverse Schieflagen unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht. Ärgert Euch das?
Roy: Das finde ich sehr ärgerlich und das ist auch ein Thema bei uns in der Band. Man muss ganz klar sehen, was diese Generation veränderte. Die Stellung der Frau - aber auch, wie unsere Eltern mit ihren Eltern über Probleme redeten, oder eben nicht redeten: Da ist wahnsinnig viel passiert. Das war eine Filtergeneration, die den ganzen alten Schrott rausfilterte. Die Verdienste für unsere Gesellschaft, wie sie jetzt ist, kann man nicht hoch genug anrechnen. Dass das konservative Lager das jetzt so abstraft, das muss man sich schon genau anschauen.
Wir sind Helden auf Deutschland-Tournee
21.10., Mainz, Phoenixhalle
22.10., Stuttgart, Liederhalle
24.10., München, Circus Krone
25.10., Erlangen, Heinrich-Lades-Halle
26.10., Berlin, C-Halle
28.10., Bielefeld, Ringlokschuppen
31.10., Köln, E-Werk
02.11., Dortmund, Westfalenhalle 2 ~ Jochen Overbeck (teleschau)
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