Eine andere Form von Tiefe
Ex-Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer veröffentlicht sein erstes Soloalbum "Heavy"
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Eine andere Form von Tiefe
Ex-Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer veröffentlicht sein erstes Soloalbum "Heavy"
28.09.2009 Das Hemd sehr weiß, die hohe Anzughose dunkelblau - stilvoll. Genauso wie man sich den blassen Dichter und Denker Jochen Distelmeyer vorstellt, sieht er auch aus. Sein erstes Soloalbum "Heavy" knüpft dort an, wo Blumfeld vor zehn Jahren aufhörten. Die Wut, die er mit seiner Band mehr und mehr zur Seite legte, kehrt im einen oder anderen Song als Agilität zurück. Jochen Distelmeyer schaltet die Büro-Stereoanlage aus, schüttelt einen Kaugummi aus der Dose und beschreibt die schwer nachvollziehbare Entscheidung, seine Band aufzulösen als wäre es ein Songtext.
Die Auflösung seiner Band Blumfeld hat ihn nicht zum Privatier gemacht. Es habe einen "versuchten Abstand zur Gitarre" gegeben, den er nicht wahren konnte, und so entstanden die neuen Lieder "nebenbei" und mündeten in das erste Soloalbum. Der Aufenthalt im Studio, ohne die Menschen, die hinter dem Namen Blumfeld standen, dürfte seltsam gewesen sein. Doch Distelmeyer sagt: "Nein, ich hab sie nicht vermisst. Lars Precht, der Bassist der letzten Blumfeld-Veröffentlichung 'Verbotene Früchte', ist wieder dabei. Die anderen sind neue, gute Musiker und tolle Typen."
Aber vielleicht gilt ja der Umkehrschluss, und "Heavy" bedeutete für ihn ein Gefühl neuer Freiheit? Dazu holt er aus: "Erleichterung spürte ich nicht. Erleichtert war ich vorher, als ich gemerkt habe, dass es okay ist, die Band aufzulösen und den bisher gegangenen Weg zu beenden und zum Abschluss zu bringen. Damit war die Erkenntnis verbunden, dass ich bestimmte Fragen für mich geklärt habe." Distelmeyer sagt jedes Wort einzeln, mit Pausen dazwischen. "Diese Fragen sind für mich virulent gewesen in der Zeit als es Blumfeld gab. Angesichts der CD-Box, die ich noch vor der Auflösung zusammenstellte, erkannte ich 'Verbotene Früchte' als einen Abschluss, ohne dass mir das beim Schreiben klar gewesen wäre. Ich bemerkte, das Bild ist fertig, ich konnte versuchen, eine andere Perspektive einzunehmen."
Einen vermeintlichen und viel diskutierten Perspektivwechsel hatte es bei Blumfeld schon einmal gegeben. Nach zwei eher lärmenden Indie-Rock-Alben hatte Distelmeyer 1999 mit dem schwere- und zeitlosen Pop von "Old Nobody" und seiner offensiv geäußerten Vorliebe für Bands wie die Münchner Freiheit für Kontroversen gesorgt. Und auch die Hinwendung zu einer scheinbar naiven Wald-und-Wiesen-Naturlyrik auf "Verbotene Früchte" führte zu Kontroversen - nicht nur unter Fans.
Aber auch diese Diskussionen, so Distelmeyer, hatten bei der Auflösungsentscheidung kein Gewicht. Dennoch: "Mir fiel auf, dass die letzten Alben eine unbeabsichtigte Trilogie darstellten, die sich mit biblischen, spirituellen Themen und politischen Haltungen auseinandersetzten. Dann merkte ich, weiter muss ich diesem Faden nicht folgen. Das war ein Moment der Klarheit, ein Moment der Helle. Dadurch wiederum erkannte ich, auf der Grundlage dieses Bandkörpers kann ich nicht weitergehen. Bis hierhin! Der Rest des Weges ist von einem stärkeren Bekenntnis zu mir selbst geprägt. Vom Wunsch alleine zu gehen."
"Auf der Grundlage dieses Bandkörpers". Wow. Aber so spricht Distelmeyer, auch im Alltag Poet. Das "Gehen" sei indes im Guten passiert. "Wir haben das sehr transparent gehalten, die Abschiedstour gemeinsam zelebriert. Dabei gab es Momente ob der großen, gewachsenen Innigkeit, die mich sehr gerührt haben." Ein langes, liebevolles Lächeln huscht über sein Gesicht. Und es dauert eine Weile, bis er hinzufügt: "Danach gab es noch eine private Phase des Loslassens." Ob die gleich bedeutend war mit Schmerz? Ein langes "Ähm" flirrt durch den Raum, "Schmerz in dem Sinne habe ich nicht empfunden, traurig war ich dann nicht mehr. Ich fühlte eine andere Form von Tiefe, es war andächtig", sagt er nach längerer Überlegung, zufrieden mit seiner Wortwahl.
Der 42-jährige Sänger wählt im Interview seine Worte so, dass man in ihnen lange nach ihrem Sinn suchen kann. Kurz und knapp hingegen seine Wahl des Albumtitels - "Heavy". Es sei kein Wort, das er im normalen Leben benutze. "Aber irgendwann kam dieser Begriff vorbeigeflogen", sagt er lachend und seine Hand macht flatternde Bewegungen. "Als die Platte fertig wurde, hatte ich ihn noch im Hinterstübchen. In dem Wort finde ich beides, das Schwere und das Leichte. In der Bedeutung schwer, und der Klang ist eher leicht, 'Himmel' klingt da drin so ein bisschen an, das passte zu den Songs", die er offenbar als schwer empfindet. "Nein, schwerwiegend", sagt er, "eine Mischung aus unterschiedlichen Schwingungen."
Durfte sich denn jemand einmischen beim Songwriting? "Nein", sagt er ganz sanft, so wie ein Vater sein Kind das erste Mal ermahnt. "Das sind meine Songs, meine Gefühle und Gedanken." So konkret spricht er selten. Meist ist er in seinen Antworten wie in seiner Musik nie ganz fassbar. Vielleicht ist der Start in die Solokarriere eben nur ein logischer Schritt. Der keine großen Erklärungen braucht. Zwar spricht er von einer "ungeschützteren Situation" im Vergleich zur Präsenz von Blumfeld. Er fühle sich jedoch nicht in Bedrängnis. Dies ist Understatement, denn Distelmeyers Position in 2009 ist eine sehr souveräne, die Resonanz der Medien enorm. "Ja, kann sein", sagt er zum Status Quo. "Aber ich bin nicht gelangweilt."
Jochen Distelmeyer auf Deutschland-Tournee
04.11., Bremen, Modernes
05.11., Dortmund, FZW
06.11., Bielefeld, Kamp
07.11., Mühlheim, Ringlokschuppen
09.11., Köln, Gloria
10.11., Trier, ExHaus
11.11., Erlangen, E-Werk
12.11., Heidelberg, Karlstorbahnhof
14.11., Stuttgart, Universum
15.11., München, Ampere
16.11., Leipzig, Conne Island
17.11., Berlin, Postbahnhof
02.12., Osnabrück, Lagerhaus
04.12., Tübingen, Sudhaus
12.12., Regensburg, Alte Mälzerei
13.12., Frankfurt, Mousonturm ~ Claudia Nitsche (teleschau)
Interviews, Stories, Meldungen und CD-Kritiken zu Jochen Distelmeyer
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