Widerstand im Opernformat
Das britische Rocktrio "Muse" veröffentlicht sein neues Album "Resistance"
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Widerstand im Opernformat
Das britische Rocktrio "Muse" veröffentlicht sein neues Album "Resistance"
11.09.2009 Die Hälfte ihres Lebens haben die englischen Freunde Matthew, Dominic und Chris mit ihrer Band zugebracht. Mit 15 Jahren gründeten die drei Engländer aus der Provinz Devon Muse. Sie wurden trotz ihres sperrigen, mitunter theatralischen Sounds zu einer der erfolgreichsten Rockbands der Welt. Gemeinsam mit Kollegen wie Radiohead stehen Muse für ein Phänomen, das abseits oder besser parallel zum herkömmlichen Popgeschäft stattzufinden scheint: Bands, die mit gänzlich unkommerziellem Stil Stadien auf der ganzen Welt füllen. Bands, deren Fans aber auch nichts Geringeres als das von ihren Idolen erwarten. Sind die alten Zeiten des rockistischen Aufbruchs zurück? Als man in den späten Sechzigern und Siebzigern nichts sehnlicher als ein wuchtiges Stück Kunst von seinem Star erwartete. Im Interview zu ihrem neuen Album "The Resistance" reden Sänger und Songschreiber Matthew Bellamy, Bassist Chris Wolstenholme und Drummer Dominic Howard über politischen Widerstand, demokratische Prozesse und künstlerischen Anspruch.
Euer neues Album heißt "The Resistance". Gegen wen oder was richtet sich Euer Widerstand?
Howard: Der zweite Song auf dem Album hat dem ganzen Projekt seinen Namen gegeben. "The Resistance" basiert auf der Liebesgeschichte im Buch "1984". Er vermittelt die Grundidee, sich nur dann frei fühlen zu können, wenn man verliebt ist. Dass man außerhalb dieser Liebe immer gegen irgendeine Art von Regime kämpft. Es gibt eine Reihe anderer Songs, wie etwa "Uprising", die vom Protest des britischen Undergrounds inspiriert sind. Bei uns werden jene Stimmen immer lauter, die von der Regierung die Nase voll haben. Der Widerstand formiert sich. Auch die Anti-Globalisierungsbewegung rund um den Globus verfolgen wir sehr genau. Nicht zuletzt durch die Bankenkrise gibt die jüngere Vergangenheit etwas Hoffnung, dass sich die Menschen zu wehren beginnen.
Auf Eurem neuen Album gibt es sogar eine kleine Symphonie aus drei Teilen mit dem Namen "Exogenesis". Seid Ihr jetzt endgültig dem Progressive Rock verfallen?
Howard: Man sollte den Begriff Symphonie nicht so ernst nehmen. Diese Art von Musik entsteht, weil Matt sehr viel freie Klaviermusik in den Entstehungsprozess unserer Musik integriert. Wenn er improvisiert, klingt das oft wie Chopin oder Rachmaninow. Viele von seinen Sachen klingen sehr gut, aber es war immer hart für uns, sie in ein Bandgefüge zu transportieren. Diesmal haben wir es versucht, diese Seite von Matt mehr in unser Bandkonzept zu einzubeziehen, dabei ist diese Symphonie entstanden.
Bellamy: Das mit der Symphonie ist tatsächlich ironisch zu verstehen. Allein der Titel "Exogenesis" macht sich über die überkandidelten Ideen der alten Prog-Rocker lustig. Musik war bei denen manchmal sehr technisch. Bands wie Rush ging es auch um abgefahrene Soli und das Zurschaustellen von Leistung. Wir versuchen, nur unser Gefühl sprechen zu lassen - auch wenn wir das Ganze am Ende Symphonie nennen. Queen, von denen wir große Fans sind, möchte ich da aber ausnehmen. Aber die kann man auch nicht ernsthaft als Prog-Rock bezeichnen. Das war überaus emotionale Musik.
Matthew steht als Sänger und Songwriter ziemlich im Vordergrund. Sind Muse dennoch eine demokratische Band?
Howard: Absolut. Die Tatsache, dass wir zu dritt sind, ist dem demokratischen Prozess durchaus dienlich. Es gibt immer klare Mehrheiten (lacht). Wir haben natürlich Diskussionen, auch mal einen Streit, wenn es ums Kreative geht. Am Ende wird jedoch immer abgestimmt. Mit "The Resistance" haben wir zum ersten Mal ein Album selbst produziert. Früher gab es immer noch den Produzenten - auch der hatte eine Stimme. Da stand es öfter mal zwei gegen zwei. Jetzt funktioniert die Demokratie in unserer Band noch besser.
Früher gab es in Eurer Musik Grunge-Elemente und eine gefühlte Nähe zum Punk. Heute scheint das immer noch durch, aber Ihr habt auch eine ausgewachsene Symphonie auf dem neuen Album. Irgendwie schafft Ihr es, unterschiedlichste Geschmäcker zu vereinen ...
Wolstenholme: Ja, wir bekommen aus den unterschiedlichsten Lagern gutes Feedback für unsere Musik. Manchmal touren wir mit anderen Bands oder treffen sie auf Festivals. Da kommt dann ein Death-Metal-Typ auf mich zu und sagt: "Mann, ich liebe eure Band!" Auch wenn ich nie ein Metal Head gewesen bin, finde ich es toll, dass so viele unterschiedliche Leute etwas mit der Musik von Muse anfangen können. Du brauchst diesen Kick, den du bei ganz unterschiedlichen Musikfans auslöst, wenn du ein Stadion vollmachen willst.
War beim neuen Album das Stadion schon im Hinterkopf? Es klingt schon sehr gewaltig und ist außergewöhnlich reich instrumentiert ...
Bellamy: Bei Muse ging es immer schon um emotionale Tiefe, aber auch einen epischen Sound. Ich denke, die Tatsache, dass wir diesmal alles alleine gemacht haben, hat das Opernhafte in unserer Musik noch verstärkt. Unsere Produzenten haben uns früher immer etwas mehr in Richtung Rock gedrängt, das fällt nun weg. Wahrscheinlich hört man trotz aller Fülle diesmal die purste Version dessen, was Muse ausmacht.
Bands wie Radiohead oder Ihr machen sehr unkommerzielle Musik im Sinne einer klassischen Popdefinition. Was sagt es über die Musikindustrie aus, wenn gerade solche Bands die meisten Platten verkaufen?
Bellamy: Die Musikindustrie hat sich seit den frühen Tagen des Rock sehr verändert. Früher suchte man nach Bands, die radikal anders waren. Das traf auf die Beatles zu, auf Led Zeppelin und sogar auf Michael Jackson. Deren Musik, die Aussage, war so stark, dass sie nicht nur die Musikstile, sondern auch die Kultur und ihre Wahrnehmung verändern konnten. Manchmal war Musik sogar in der Lage, politisches Denken verändern - wie im Falle von John Lennon. Heute leben wir in einer sehr konservativen Zeit - wenn wir von Kunst reden. Musik darf keine Herausforderung mehr sein - denkt sich die Industrie. Bands wie Radiohead oder wir sehen das jedoch anders. Vielleicht interessiert das, was wir tun, deshalb auch so viele Leute da draußen.
Wolstenholme: Ich glaube, die Leute sind mittlerweile auch sehr viel offener als früher, was ihren Geschmack betrifft. Heute beschäftigen sich auch viel mehr Kids selbst mit dem Musikmachen als vor 20 Jahren. Das hat natürlich mit Computern und billiger Software zu tun. Aber auch damit, dass so viel unterschiedliche Musik über das Internet leicht zu bekommen ist - das bildet und öffnet. Ich habe das Gefühl, dass gerade unsere Fans oft selbst Musiker sind. Viele Leute kommen zu mir und erzählen mir: 'Ich spiele auch Gitarre, Bass oder Schlagzeug'. So etwas fördert natürlich das Verständnis einer eher komplexen Musik. Man versteht heute besser, wie viel Anstrengung in Musik wie der Unsrigen steckt. Das liegt auch an der Massenproduktion von Instrumenten. Als ich vor 20 Jahren Gitarre lernen wollte, besorgte mir meine Mutter einen Katalog und es gab darin Gitarren für 400 Pfund. Heute bekommst du schon eine für 80 Pfund.
Muse ist also eine Band, die vor allem bei Amateurmusikern gut ankommt?
Wolstenholme (lacht): Vielleicht ist es so, aber ich habe kein Problem damit. Das basisdemokratische Heer der Amateurmusiker, das sind doch eigentlich sympathische Leute - und sie wählen Muse. Eine schöne Idee.
Betrachtet Ihr Euch eher als gewaltige Undergroundband oder als abseitigen Mainstream?
Bellamy: Wir sind Underground, weil wir nicht im Radio gespielt werden. Die Radiostationen gehören wie viele andere Medien großen Konzernen. Das Problem mit Konzernen, die Kultur vermitteln, ist natürlich, dass sie nicht wollen, dass sich am Status Quo etwas ändert. Wenn Bands wie wir oder Radiohead etwas über die Ausbeutung der Dritten Welt erzählen, kann das nicht in deren Sinne sein - denn ihr Geschäftsmodell basiert auf dieser Ausbeutung. Insofern sind wir ganz klar Underground. Eine Band wie Rage Against The Machine ist eine der besten Bands aller Zeiten. Weil sie politisch jedoch so explizit sind, haben sie nie den Durchbruch in den Mainstream geschafft. Das wäre in den Sechzigern anders gewesen. Damals hat man noch nach Künstlern gesucht, die unsere Gesellschaft verändern können.
Ihr macht gemeinsam Musik, seit ihr 15 seid. Das sind jetzt 15 Jahre her. Habt Ihr dabei nie einen Lagerkoller bekommen oder das Gefühl gehabt, kreativ ausbrechen zu müssen?
Wolstenholme: In der Tat haben wir bisher, was das Schreiben von Musik betrifft, nie mit anderen Leuten zusammengearbeitet. Natürlich spielen wir mit anderen Musikern zusammen, um diesen großen Muse-Sound hinzubekommen. Gerade auf den letzten beiden Alben arbeiten wir oft mit Streichern oder Bläsern. Wir empfinden als Trio jedoch so viel Freiheit beim Schreiben, dass wir keine Notwendigkeit verspüren, das mit anderen Partnern machen zu wollen.
Es gibt also keine Pläne für Soloausritte?
Wolstenholme: Nein, momentan nicht. Ich denke, vielleicht in der Zukunft. Solange jedem klar ist, dass Muse an erster Stelle kommt, sollte das auch kein Problem für die Band sein.
Muse auf Deutschland-Tournee
28.10., Hamburg, Color Line Arena
29.10., Berlin, O2 World
16.11., Köln, Lanxess Arena
20.11., München, Olympiahalle ~ Eric Leimann (teleschau)
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