Randy Newman

Das freundliche Ungeheuer


Randy Newman ätzt wieder fröhlich gegen Amerika

Aktueller Artikel im akuma.de Magazin zu Randy Newman
» Übersicht von Randy Newman anzeigen

Das freundliche Ungeheuer

Randy Newman ätzt wieder fröhlich gegen Amerika

08.08.2008 Niemand hat Amerika, seine Träume, seine Paranoia und seine Religion genüsslicher, beredter und offenbarungsreicher seziert als Randy Newman, der Arztsohn aus Los Angeles. Wie nur wenige amerikanische Songwriter hat sich Newman Zeit seines Schaffens an seiner Herkunft abgearbeitet und dabei stets eine bissige, ironische Distanz gewahrt, als gehörte er irgendwie doch nicht dazu. Darüber hinaus hat sich der süffisante Intellektuelle aber auch einige der Herz erweichendsten, zutiefst menschlichen Stücke über die Liebe, das Leben und die Heimat abgerungen, die der große amerikanische Kanon vorzuweisen hat. Mit "Harps And Angels", auf dem Randy Newman erstmals seit neun Jahren wieder neue Songs veröffentlicht, offenbart der heute 64-Jährige noch einmal all seine Qualitäten.

Und er trifft alte Bekannte wieder. Erstmals seit 1972 tritt Randy Newman im Titelstück des Albums wieder in Zwiesprache mit Gott - die grotesker nicht ausfallen könnte. Der Allmächtige hatte den armen Sünder schon zu sich gerufen, um sich aber sogleich für ein klerikales Versehen zu entschuldigen: "We're here on a bit of a wild goose chase." Dann nuschelt der Schöpfer etwas auf Französisch und verschwindet mit seinem Engelsgeschwader ("They sounded like background-singers") in die Nacht. Für den bekennenden Atheisten Newman bleibt die beruhigende Erkenntnis: "There really is an afterlife / And I hope to see all of you there / Let's go get a drink."

Randy Newman - E

Bei solch ausufernder Witzelei ist die Grenze zur Albernheit nicht weit, doch bei dem freundlichen Grantler Newman war Humor zuerst immer eine Waffe gegen kulturelle Infamie und politische Barbarei. "A Few Words In Defense Of Our Country" beginnt harmlos und selbstkritisch, um zuletzt doch in eine peinliche, egomanische, rassistische und damit selbstverräterische Farce zu münden, die Hitler, Stalin und König Leopold von Belgien (!) in einer Reihe als entlastende Zeugen gegen die eigenen Ungeheuerlichkeiten aufruft. In "A Piece Of The Pie" schlüpft Newman wie schon einige Male zuvor in die Rolle des kleinen Mannes, der halb gerecht, halb selbstgerecht die soziale Schere beklagt, und ganz nebenbei bekommt der ein oder andere gutmenschelnde Popstar sein Fett weg.

Randy Newman musste seine politische Position nie wie andere ("Bono's off in Africa - he's never around") in offen zur Schau gestellter Wohltätigkeit demonstrieren. Politik fand bei Newman schon immer auf dem Schlachtfeld der Kunst statt. Seit seinem selbst betitelten Albumdebüt 1968, produziert von Van Dyke Parks und seinem Lebensfreund Lenny Waronker, brachte ihm dies einen gewissen Außenseiterstatus unter den US-Songwritern ein. Auch musikalisch stand seine Arbeit nur zu überschaubaren Teilen in der Tradition der Übervaterfigur Bob Dylan, speiste sich aber weitgehend aus sonnigem Westcoast-Pop und traditionellem Südstaaten-Jazz. Der brillante Nachfolger "12 Songs" ist Newmans bis heute stärkste Annäherung an traditionellen amerikanischen Album-Rock, doch der kommerzielle Erfolg blieb trotz euphorischer Kritiken erst mal aus.

Das änderte sich nur geringfügig, als 1972 "Sail Away", der Newman-Klassiker schlechthin, erscheint. Der großartige Zyklus enthält nur essenzielle Songs des Meisterlichen, die er größtenteils zum Piano intoniert und mit dezenter, aber präziser Orchestrierung veredelt. Im berühmten Titelstück schlüpft Newman in die Rolle eines amerikanischen Sklavenhändlers, der ahnungslosen Afrikanern Milch und Honig verspricht. Das nicht weniger sarkastische, jedoch später unter den erbarmungslosen Fittichen von Joe Cocker zur schlüpfrigen Erotik-Farce verkommene "You Can Leave Your Hat On" findet sich hier ebenso wieder wie das melancholische "Memo To My Son".

Newman schießt sich auf ein konzises Songformat von zwei bis drei Minuten ein, in das er seine bitterbösen Rollenspiele ökonomisch verpackt. In "Political Science" nimmt er prophetisch die Rede vom alten Europa vorweg, die mehr als 30 Jahre später aus dem Mund des US-Außenministers zum diplomatischen Eklat wird. "God's Song" ist die definitive Abrechnung nicht der Menschen mit Gott, sondern umgekehrt: "How we laugh up here in heaven at the prayers you offer me / That's why I love mankind".

Randy Newman - D

Die 70er-Jahre sind Newmans Jahrzehnt. Nur zwei Jahre nach "Sail Away" gelingt ihm mit "Good Old Boys" ein nicht weniger brillantes Konzeptalbum über den amerikanischen Süden, in dem er Teile seiner Kindheit verbrachte. Newman ätzt unverfroren gegen die "Rednecks" ("We don't know our ass from a hole in the ground"), ironisiert die Grässlichkeit des Kaffs "Birmingham" ("The greatest city in Alabam'") und bewertet die historische Flut in "Louisiana 1927" als Anklage gegen den Norden aus dem Blickwinkel des Bürgerkriegstraumas ("They're tryin' to wash us away"). Newman spielt hierzu verschwenderisch orchestrierte Südstaaten-Musik - New Orleans Soul, Rag Time Shuffle und Nashville-Country -, was die Schärfe seiner trefflichen Gemeinheiten nur potenziert.

Mit "Little Criminals" steht Randy Newman 1977 vielleicht künstlerisch, ganz sicher aber kommerziell im Zenit. Zu verdanken hat er dies auch dem Skandal um die unverhoffte Hitsingle "Short People", deren offenkundige ironische Anlage nicht bei jedem ankam. Im vortrefflichen, verwirrenden "Sigmund Freud's Impersonation Of Albert Einstein In America" schlüpft der passionierte Imitator in die Rolle des Wiener Nervenarztes, der in die Rolle Einsteins schlüpft. Der erhabenste Moment der Platte ist jedoch der erschütternde Humanismus von "In Germany Before The War". Wohl angeregt durch seine damalige, aus Düsseldorf stammende Ehefrau, blickt Newman durch die Augen eines Düsseldorfer Kindermörders aus dem Jahr 1934: "Im looking at the river, but I'm thinking of the sea / We lie beneath the autumn sky / My little golden girl and I / And she lies very still" - gespenstisch.

Mit dem etwas zerfahrenen Nachfolger "Born Again" (1979) ließ sich das kommerzielle Zwischenhoch nicht aufrecht erhalten. Dank "Half A Man" enthält die Platte immerhin einen halben Hit. Newman zog die Konsequenzen und verdiente seinen Unterhalt ab den 80er-Jahren mit Filmmusik, unter anderem für die Hollywood-Produktionen "Ragtime" (1981), "Toy Story" (1995) und "Seabiscuit" (2003). Nach 15 ergebnislosen Nominierungen erhielt er schließlich 2002 den Oscar für den besten Filmsong "If I Didn't Have You" aus dem Animationsfilm "Die Monster AG".

Dennoch, die goldenen Newman-Jahre waren ab 1980 vorbei. Veröffentlichte Randy Newman in den 70er-Jahren insgesamt sechs, allesamt essenzielle Alben, waren es in den 80-ern bloß noch zwei: "Trouble In Paradise" (1983) und "Land Of Dreams" (1988). In den 90-ern folgte der einigermaßen verunglückte Musical-Entwurf "Faust" (1995) und das allerdings triumphale "Bad Love" von 1999. Der alte Grantler raunt hier einige seiner erweichendsten Schmachtfetzen ("I Miss You", "Every Time It Rains") sowie die unerwartete, schwierige, aber brillante Heimatreflexion "My Country". Trotz neunjähriger Pause knüpft "Harps And Angels" nun an die späte Blüte des großen, fröhlichen Zynikers an, das man dankbar entgegenimmt, wie ein süßes, vergiftetes Geschenk. Sail on, Randy. ~ Jens Szameit (teleschau)


Interviews, Stories, Meldungen und CD-Kritiken zu Randy Newman

Das freundliche Ungeheuer

Randy Newman ätzt wieder fröhlich gegen Amerika
Das freundliche Ungeheuer

Niemand hat Amerika, seine Träume, seine Paranoia und seine Religion genüsslicher, beredter und offenbarungsreicher seziert als Randy Newman, der Arztsohn aus Los Angeles. Wie nur wenige amerikanische Songwriter hat sich Newman Zeit seines Schaffens an seiner Herkunft abgearbeitet und dabei stets eine bissige, ironische Distanz gewahrt, als gehörte er irgendwie doch nicht dazu. Darüber hinaus hat sich der süffisante Intellektuelle aber auch einige der Herz erweichendsten, zutiefst... mehr »



CD-Kritiken zu Randy Newman-Alben