"Hab Spaß, bevor du stirbst!"
Motörheads Lemmy Kilmister: Laut und weise
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"Hab Spaß, bevor du stirbst!"
Motörheads Lemmy Kilmister: Laut und weise
29.08.2008 Lemmy Kilmister residiert im gleichen Berliner Nobelhotel wie neun Monate zuvor Nick Cave. Auch der Motörhead-Chef ist ganz in Schwarz gekleidet, trägt das Haar länger, die bärtige Gesichtsdekoration schwingt links und rechts an den Mundwinkeln entlang. Kilmister fehlt die Cavesche Arroganz. Mal wieder ein neues Album: "Motörizer" - kein Grund zur Aufregung, aber ein bisschen Stolz darf schon sein. Vier Jahrzehnte voller Musik, er ist ein zäher Rockstar der alten Garde. Die 60 sind überschritten, das macht Lemmy nicht müde. Aber umgänglich. Er bedient die Klischees, die ihn umgeben, dabei blitzen seine Augen, zeugen vom Hang zum schwarzen Humor, einer Distanz zu sich und gleichzeitig einem Heidenspaß, der böse Bub, der Heikle und Unverbesserliche zu sein. Wenn er lacht, klingt das heiser, wenn er spricht ebenfalls. Lemmy raucht, Lemmy trinkt Jack Daniels mit Cola an diesem heißen Nachmittag, was sonst. Bevor das Gespräch beginnt, sagt er erst mal Prost. Wenn es zu Ende ist, möchte man auch selbst auf einiges trinken.
Lemmy, hast Du heute schon etwas für Deine Gesundheit getan?
Lemmy Kilmister (zeigt auf sein Glas): Jack Daniels. Der reinigt mein System.
Ihr arbeitet jetzt schon zum dritten Mal hintereinander mit Produzent Cameron Webb zusammen. Wie wichtig ist er für Motörhead?
Kilmister: Diesmal habe ich ganz schön mit ihm gestritten, das war schon okay. Wir könnten uns natürlich einen anderen Produzenten suchen, aber wenn man denn mal einen hat, mit dem man arbeiten kann ... Viele von denen haben ihre eigenen Ideen, die sie in die Songs reinpacken wollen, statt unseren. Ich will das aber nicht.
Fällt es Dir leicht, jemandem zu trauen?
Kilmister: Solange kein Geld im Spiel ist, kein Problem. Das war früher einfacher, da habe ich noch nicht so viel gewusst, wenn Du verstehst, was ich meine.
Klappt das immer noch mit neuen Ideen für Songs?
Kilmister: Das klappt aber ganz ohne Probleme. Wir schreiben ja zunächst den Song, dann ploppt ein Textstück auf und es ist passiert. Ich sag Dir, die simpelsten Songs sind die härtesten. Das ist komisch, ist aber so. Ich finde jedoch, wir werden besser - wenn ich meine bescheidene Meinung mal anbringen darf (lacht).
Geht es im Song "The Thousand Names Of God" ...
Kilmister: ... um den Krieg. Ist ja ganz egal, um welchen. Es schreit eh jeder jeden an: "Mein Gott ist größer als deiner." Die waschen alle ihre Hände im Blut der anderen.
Deine ablehnende Einstellung hat sich diesbezüglich nicht geändert.
Kilmister: Nein, ich verstehe Religion immer noch nicht.
Teleschau: Du hast einen Song über Deine Mutter geschrieben.
Kilmister: Oh ja, ich bin von ihr und meiner Großmutter aufgezogen worden, mein Vater ging ja weg, als ich drei Monate alt war. Sie war eine schlaue Frau, sie hat mich oft zusammengestaucht, aber wir kamen gut klar. Die Oma war ein bisschen exzentrisch. Mit unglaublich langen Haaren, mit denen sie viel Zeit verbrachte. So ganz fit war sie nicht mehr, aber ein guter Babysitter. Ich erinnere mich, dass sie manchmal vier Stunden für ihre Haare aufwand, so viel wie andere heute zur Auswahl des richtigen T-Shirts.
Stehst Du selbst lange vor dem Kleiderschrank?
Kilmister: Nein, nicht mehr, früher schon - als ich noch so verdammt gut aussehend war.
Warst Du eitel?
Kilmister: Ja, das ist jeder, es sei denn, er ist ein Krüppel. Aber selbst die wetteifern beim Polieren des Rollstuhls (lacht). Jeder will doch besser aussehen als der andere.
Viele übersehen, dass Motörhead-Texte durchaus durchdacht sind und gehaltvoll.
Kilmister: Ja, stimmt, die meisten machen sich noch nicht mal die Mühe, die Lyrics zu lesen. Weißt Du, deswegen drucken wir sie ab, einfach, dass keiner sagen kann, er hatte keine Chance. "The Thousand Names Of God" ist der gehaltvollste, würde ich sagen. Im Gegensatz dazu ist "Runaround Man" kompletter Nonsens. Den mag ich. Der bedeutet mir eine Menge, denn er sagt: Alter, mach' dir mal keine Gedanken, du hast dein kleines Leben, dann machst du einen Abgang. Also, hab Spaß. Bevor du stirbst. Das ist vermutlich schon das Geheimnis des Ganzen.
Hat Dir das auch Deine Mutter gesagt?
Kilmister: Nein, das (lacht) habe ich selbst herausgefunden.
Du machst jetzt seit gut drei Jahrzehnten Musik mit Motörhead. Kannst Du die untergliedern?
Kilmister: Nein, nicht wirklich, das war für mich alles das Gleiche: Ich war der Bassist, habe gesungen und die Texte geschrieben, die anderen kamen stressfrei durch. Trotzdem hatte ich nie ein Problem, dabei zu bleiben. Andere gaben auf. Ich finde, Motörhead ging es immer gut, wir hatten wirklich Glück. Der Umzug nach Los Angeles hat mir einen nützlichen Exotenbonus verpasst. So albern das ist, aber die Engländer mögen keine englischen Bands, die Deutschen keine deutschen ...
Naja, wir hatten in den letzten Jahren eine Welle mit vielen deutschen Bands mit deutschen Texten.
Kilmister: Böhse Onkelz? Die sind doch nicht neu.
Nein, die sind wir los.
Kilmister: Wir haben zusammen das Abschiedskonzert gespielt. Ich fand sie eigentlich nicht so gut. Aber das war schon sehr beeindruckend: Da standen Tausende von Leuten, haben jede Textzeile mitgesungen.
Was glaubst Du, stirbt der Hard Rock aus, wenn die Alten abdanken?
Kilmister: Nein, dafür wird es weiterhin ein Publikum geben. Denn Rock'n'Roll-Momente haben ja viele Bands, auch die neueren. Das sind Basics. Bei unseren Shows stehen die Sechsjährigen, die 20- und 40-Jährigen, das sind drei Generationen. Ein größeres Problem ist, dass man nirgends Rock zu hören bekommt. Man könnte MTV einstampfen, denn die spielen da ja keine Musik.
Auch die Radioformate sind eine Katastrophe.
Kilmister: Scheiße! Das ist ein gutes Wort, man kann damit so viel beschreiben. Die Sender sind wirklich scheiße. Aber das ist das Gute am Internet, du kannst die Musik hören, die du möchtest.
Ich würde trotzdem noch gerne wissen, was Du für Deine Gesundheit tust. Anscheinend schwörst Du auf Milch.
Kilmister: Übermäßig viel trinke ich davon nicht (füllt sich Eiswürfel nach). Aber Milch ist ein wundervolles Getränk. Es war vor einer Weile sehr unpopulär, da gab es ein mordsmäßiges Geschrei, wie ungesund Milch sei. Mann, ich mag die, und ich mag Käse und Eier.
Aber Du bist nicht zum Vegetarismus konvertiert?
Kilmister: Nein, ich glaube nicht. Hitler war Vegetarier. Nicht getrunken, nicht geraucht, perfekter Haarschnitt - wäre auch heute überall in der Welt gern gesehen.
Bist du ein organisierter Arbeiter?
Kilmister (lacht): Oh nein. Naja, ich finde eigentlich auf meine Art schon. Das bemerkt zwar kein anderer, aber ich weiß schon, was ich mache. Auch wenn es nicht so aussieht.
Und wie viele Stunden Schlaf brauchst Du?
Kilmister: Ungefähr drei. Wenn du älter wirst, brauchst du nicht mehr. Acht Stunden zu schlafen, bringt dich schneller ins Grab. Vier Stunden sind die Grenze.
Gibt es heute eine Frau im Musikbusiness, die Du richtig gut findest?
Kilmister: Hm, ohne sexuelle Komponente ... - sind das eher die älteren Ladies. Kelly von Girls School. Sie ist letztes Jahr an Knochenkrebs gestorben, ein furchtbarer Scheißtod. Etliche meiner Ex-Freundinnen sind bereits gestorben. War aber nicht mein Fehler (lacht). Alle, die an Drogen gestorben sind, sind am Heroin draufgegangen. Jeder denkt, mich erwischt es nicht. Genau. Du smarter Motherfucker, es wird dich erwischen. Alles andere - Acid, Speed, Hasch - bringt dich nicht um. Die Leute sind dumm.
Denkst Du über den Tod nach, oder soll er Dich irgendwann überraschen?
Kilmister: Ich bin 62, was kann mir denn passieren? Ich hatte 'ne gute Zeit, kann mich nicht beschweren. War alles bestens. Wäre schön, wenn er schnell und schmerzfrei wäre. Aber das wird wohl nicht so sein, denn was man sich wünscht, passiert ja nicht.
Gibst es bei Euch auch so etwas wie eine Patientenverfügung?
Kilmister: Wenn ich irgendwelche kleinen Geräte brauche, die mit Schläuchen an mir dran hängen, sei's drum, dann lauf ich damit rum. Das ist okay. Und wenn ich malle bin, stellt mir Eiscreme hin und dreht den Fernseher an. Danke! Nur dahinzusiechen und die Muskeln verrotten, das ist grausam. ~ Claudia Nitsche (teleschau)
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